Woche 11:
"Gottesgeburt" als aufleuchtende Erfahrung eines  Lebens "jemseits der Todeslinie"

Einführung in die elfte Übungswoche
"In der Ewigkeit sind alle Dinge gegenwärtig" (174,26f), sagt Meister Eckehart. Und er meint damit: Wo immer ich in diesem Leben schon etwas von Gott und seiner Ewigkeit berühre, bekomme ich damit Anteil an einer Dimension des Erlebens, die nicht mehr gebunden ist an unsere raum-zeitlichen Vorstellungen. So kann er sagen: "In der Seele ist eine Kraft, der sind alle Dinge gleich süß... sie fasst alle Dinge oberhalb von 'Hier' und 'Jetzt'... " (341,24ff).
Mit solch einem Satz relativiert er aus der Sicht der Ewigkeit unser Denken im "Entweder-Oder", durch das sich viele Möglichkeiten gegenseitig ausschließen müssen. An einem kleinen Beispiel mag es vielleicht etwas deutlicher werden: Wenn ich einen Apfel als "Apfel" esse, kann ich nicht gleichzeitig eine Banane essen. Versuche ich aber bewusst, diesen Apfel als "Frucht" zu genießen, dann schmecke ich vielleicht in ihm etwas von dem Geschmack der "Frucht" überhaupt - und dieser Geschmack schließt andere Früchte nicht aus, sondern ein. Für das Erleben der Zeit, die für unsere Sichtweise fest an das Vorher und Nachher gebunden ist, stellt sich die neue Möglichkeit für Meister Eckehart so dar: "Wann ist 'Fülle der Zeit'? - Wenn es keine Zeit mehr gibt. Wenn man in der Zeit sein Herz in die Ewigkeit gesetzt hat..., so ist das 'Fülle der Zeit'" (208,16ff). Und diese Fülle steht dem Menschen bereit: "O wie edel ist jene Kraft, die da über die Zeit erhaben steht...! Denn damit, dass sie über die Zeit erhaben steht, hält sie alle Zeit in sich beschlossen und ist sie alle Zeit" (386,10ff). Und er folgert daraus: "Wisset, meine Seele ist so jung, wie da sie geschaffen ward, ja noch viel jünger! Und wisset, es sollte mich nicht wundern, wenn sie morgen noch viel jünger wäre als heute!" (341,9ff)
Solche Worte führen uns an das unergründliche Geheimnis heran, um das es in dieser kommenden Woche geht, um das Ostergeheimnis. Ostern ist Einbruch der Ewigkeit Gottes mitten in unsere Zeit. Ostern schenkt uns die Möglichkeit, hier und jetzt bereits Anteil an Erfahrungen der Ewigkeit Gottes zu bekommen. Bei Michael Schneider (M.Schneider, "Das neue Leben") las ich, während ich diesen Gedanken nachsann: "Das Leben des Glaubenden (ist)... zukunftsorientiert... Durch die lebendig gelebte Hoffnung werden die unvollendbaren Fragmente menschlichen Lebens selber zu Fragmenten der Wiedergeburt der neuen Schöpfung: Nicht der Tod vollendet das Leben, sondern das Reich Gottes!... Christliches Leben ist 'neues Leben'. Wiedergeburt, Erneuerung, Leben in Fülle - all das beschreibt das neue Leben, das in Christus geschenkt ist. Der Wiedergeborene ist gleichsam sich selbst voraus; er lebt aus dem, was auf ihn zukommt, nicht aus dem, was sich in ihm vorfindet (O. Weber)."
Das Neue Testament zeugt von Jesus Christus, in dem dieses neue, ewige Leben bereits hier und jetzt begonnen hat: Es zeigt uns in einem kurzen Blick den verklärten Jesus - eine Wirklichkeit, die nur augenblicksweise den ausgewählten Jüngern sichtbar werden darf (Mk 9,2ff). Es zeigt uns den Herrn, der über das Wasser gehen kann (Mk 6,45ff). Wenn die Exegese hier eine vorgezogene Ostergeschichte vermutet, so ändert das nichts daran, dass eben "Ostern" bereits so hineinleuchtet in unser Leben, dass man solch eine Geschichte ohne Bedenken vorziehen konnte. Und dann verdichtet sich alles in den Osterberichten - in den Zeugnissen aus der Zeit zwischen Auferstehung und Himmelfahrt, in welcher Jesus - immer unerwartet und zuerst unerkannt - sich den Seinen offenbart: den Trauernden, den Suchenden, den Zweifelnden, den Furchtsamen... Was aber nützten mir alle Ostergeschichten, wenn sie zwar vor zweitausend Jahren wahrhaft geschehen wären, wenn sie aber in mir selbst nichts auferweckten, nichts zum Mitschwingen brächten? - Ich kann nur wirklich aus dem Glauben an die Ewigkeit leben, wenn ich etwas davon "im Spiegel" eigener, kurz aufleuchtender Erfahrungen - oder auch nur eigener Sehnsüchte - spüren kann. Dabei darf ich mir immer neu ins Bewusstsein rufen, dass Gott selbst mit dem unergründlichen Geheimnis seiner Ewigkeit in mir wohnt, in meiner innersten Tiefe, in meinem "Seelenfünklein", in diesem "Etwas", von dem man nichts aussagen kann.

Aber auch umgekehrt: Ich kann eigene Erfahrungen - Ostererfahrungen - leicht übersehen, beiseite schieben, schnell wieder vergessen, wenn sie nicht angesichts der Osterbotschaft des Neuen Testamentes ihren tiefen Sinn, ihre Deutung, ihr ganzes Gewicht bekommen!

So ist es das besondere Anliegen dieser Woche, solche Sehnsüchte und Erfahrungen im eigenen Leben wahrzunehmen, sie zuzulassen und dafür zu danken und Gott zu preisen: "So denn lobt alles Gott, was in der Seele Gott gleich ist... diese Gleichheit des Bildes lobt seinen Meister wortlos" (239,1). Wo ich Gott über solchen Erfahrungen danke - gleich, ob ich sie selbst schon gemacht habe oder ob ich sie bei anderen erlebe -, immer öffnet mich das Danken und das Loben für neue, vielleicht noch tiefere Erfahrungen "mit meinem geliebten Gott".

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