Woche 1:
Meine Empfangsfähigkeit vertiefen
in der ganzheitlichen Öffnung vor Gott

Einführung in die erste Übungswoche
Überblick:
1. Vom Sinn der Übungsangebote
2. Vom Umgang mit den Übungsangeboten

1. Vom Sinn der Übungsangebote
- "Es heißt: Vom Kennen zum Können führt nur eines: die Übung".
Das wissen wir aus den verschiedensten Lebensbereichen; für unser geistliches Leben wurde es bisher oft zuwenig bedacht. In den Übungsangeboten werden Möglichkeiten aufgezeigt, die dem einzelnen helfen können, seinen eigenen Weg zu finden. Das bedeutet konkret, daß ich mich auf die Übungen einlasse und im eigenen Tun ausprobiere und Erfahrungen sammle, was mir guttut und was für mich weniger Nutzen verspricht. So muß ich das Wagnis des Mich-Einlassens zuerst auf mich nehmen, um mich dann wieder zu distanzieren mit der Frage, was mir mehr hilft auf meinem geistlichen Weg. Das "mehr", das "magis", das uns im Exerzitienbuch des Ignatius so oft begegnet, ist das "mehr" der Liebe - es bestimmt den Weg dieses ganzen Buches.

- Die Wiederentdeckung der leiblichen Dimension des Menschen
ist eine wichtige Erkenntnis der Kirche in unseren Tagen. Es geht darum, daß wir wieder begreifen, daß der Mensch in seiner Ganzheit von Gott gewollt und gemeint ist - und daß er Gott lieben soll mit allen Kräften seines Wesens (Mk 12,30). Christus ist Mensch geworden. Damit ist alles leibfeindliche Denken in seiner Wurzel überwunden - und doch nimmt es oft noch einen breiten Raum ein in unserem Glaubensvollzug. Die gnostische Leibfeindlichkeit, die im Leiblichen des Menschen immer das Böse wittert, wurde seit dem ersten Jahrhundert von der Kirche bekämpft, und dennoch hat sich dieses Denken bis heute lebendig erhalten. Wo Übungen angeboten werden, die die leibliche Dimension einbeziehen, sollte man folgendes beachten: In manchen Christen rufen solche Angebote eine innere Sperre hervor. Wer diese Sperre in sich wahrnimmt, sollte sie beachten und sie nicht gewaltsam beseitigen wollen. Doch möge er wissen, daß andere Menschen anders reagieren und gerade solche Übungen als besonders hilfreich und fruchtbar für die Vertiefung ihres Gebetslebens erfahren. Es wäre gut, wenn wir es immer besser lernten, unseren eigenen Weg zu finden und dem anderen dieselbe Freiheit zu gewähren, das zu tun, was ihm guttut.

- "Es ist sinnvoll, Vorbereitungen zu treffen für das Kommen eines Gastes, der sich angesagt hat, aber weder das Herrichten des Bettes noch das Backen des Kuchens noch das Warten unter der Haustür können den Gast herbeizwingen."
Das muß vor allen Übungsangeboten klar und deutlich sein: Nicht im entferntesten soll hier ein Weg der Selbsterlösung angeboten werden!Was wir tun und worum wir uns mühen, ist "Vor-Bereitung", Bereitschaft für die Begegnung mit Gott, soweit es in unseren Kräften steht. Ob, wann und wie die Begegnung stattfinden wird, das steht allein in Gottes Freiheit. Oder gebrauchen wir ein anderes, ein biblisches Bild: An uns ist es, den Acker unseres Seins aufzulockern und vorzubereiten - an Gott ist es, den Samen hineinzulegen und wachsen zu lassen. Die Vorbereitung des Ackers - das geschieht von uns aus, wenn wir uns in der regelmäßigen Meditationszeit auf die Übungen einlassen. Wir sagten es schon: Mitte jedes geistlichen Lebens ist die tägliche Zeit der Stille vor Gott. Für den rechten Umgang mit dieser Meditationszeit sind einige Fragen zu klären.


2. Vom Umgang mit den Übungsangeboten
- Wie lange soll die tägliche Zeit der Stille vor Gott in Gebet und Meditation dauern? Hier gibt es keine allgemeingültigen Gesetze, jedoch ist folgendes wichtig: Um eigene Erfahrungen mit Gott zu machen, braucht der Mensch gewöhnlich eine zusammenhängende Zeit, die mindestens fünfzehn bis zwanzig Minuten dauern sollte. Erst dann läßt die innere Unruhe nach, erst dann kann etwas aufwachen, was sich gewöhnlich tief verbirgt. Und wenn ich mir hin und wieder einmal eine Zeit von sechzig Minuten nehme für solches Gebet, dann zeigen sich oft ganz neue Dimensionen des Betens: Hatte ich vor der Gebetszeit gemeint, ich könne mir kaum zwanzig Minuten "leisten", so entdecke ich nach diesen zwanzig Minuten plötzlich, daß alles andere, was ich tun wollte, doch eigentlich gar nicht so wichtig ist wie das Dasein vor Gott. Und nun kann ich mit Freude eine volle Stunde vor Gott verweilen.

- Wie kann ich für mich diese Zeit der täglichen Stille absichern?
Hilfreich ist ein klarer, fester Vorsatz, den ich im Blick auf die Frage fassen kann: Wieviel ist Gott mir eigentlich wert? Wieviel Zeit am Tage möchte ich ihm schenken, um bei ihm zu sein? (Besondere Ausnahmen wird es hin und wieder geben müssen, aber sie sollten wirklich Ausnahmen bleiben!)

Dann sollte ich mir eine störunanfällige Zeit wählen (der frühe Morgen oder der späte Abend bietet sich dazu an) - und diese Zeit mit meiner Familie oder den Mitbewohnern meiner Wohnung absprechen. Das kann eine echte Hilfe sein. Einem anderen hilft vielleicht auch eine kleine Tafel an der Tür: "Bitte jetzt möglichst nicht stören." Der feste, gleichbleibende Platz und die gleichbleibende Zeit am Tage sind als Hilfen nicht zu unterschätzen: Es ist so, als könnten der Raum und die Zeit etwas von der Atmosphäre des Betens in sich aufnehmen und mir dann am nächsten Tag wieder hilfreich vermitteln.

- Welche Chancen und welche Gefahren liegen im regelmäßigen Meditieren zu Hause, im Gegensatz zu den Erfahrungen in einem Meditationskurs und anderen Tagen der Stille? Was im abgeschirmten Raum eines Kurses geschieht, getragen durch die gemeinsame Atmosphäre der Stille, geht oft in sehr große Tiefen. Doch bleibt es häufig an dieses Umfeld gebunden; die Rückkehr in den normalen Arbeitsalltag erscheint nach solchen Tagen manchmal fast unerträglich hart.

Was dagegen mitten in diesem Alltag geschieht, in meinem konkreten Lebensraum, in den ich hineingestellt bin, mag vielleicht etwas weniger in die Tiefe gehen. Doch kann es eine stärkere Wirkung in das alltägliche Leben hinein haben. Erfahrungsgemäß wird nach und nach die eigentliche, für die Meditation ausgesparte Zeit des Tages mehr und mehr zu einem "Sauerteig", der den übrigen Tag mit seinen Aufgaben, Freuden und Schmerzen mit einbezieht und durchdringt. "Das Gebet geht eigentlich den ganzen Tag mit mir", stellten mehrere Teilnehmer des Briefkurses nach einigen Wochen fest.

- Wie gehe ich während meiner Gebetszeit mit unerwarteten Störungen um?
Diese Frage stellt sich beim Meditieren zu Hause oft mit besonderer Schärfe. Trotz aller Abschirmversuche lassen sich nicht alle Störungen ausschalten. Sie gehören zum "Meditieren im Alltag" dazu, und je mehr ich sie absolut fliehen will, desto aufdringlicher melden sie sich. Hier gibt es nur einen hilfreichen Weg: "Gelassenheit bewahren!" Wenn wir selbst in unseren Kursen immer neu den "Meditationsteufel" erleben, der es mit aller Kraft versucht, die Stille in uns zu stören, so versucht er es mit allen möglichen Taktiken, uns zu Hause vom Beten abzuhalten. Und er tut das bei jedem an der Stelle und in der Weise, wo der Betende am empfindlichsten ist und seinen schwächsten Punkt hat. Das Wichtigste ist, um diese Tatsache zu wissen und sich wachsam darauf einzustellen. Oft heißt es hier, einen echten Kampf aufzunehmen: den Kampf gegen meinen Ärger über die Störung (der Ärger stört mehr als die Störung selbst!) und den Kampf gegen den Gedanken: "Es hat ja doch keinen Sinn, ich gebe mein Beten auf!"

Störungen können aber auch aus mir selbst kommen: Wie gehe ich um mit negativen Meditationsinhalten? Diese Frage taucht immer wieder auf. Daß Dunkelheiten ans Licht kommen, ist eine große Chance christlichen Meditierens, denn nur so können sie geheilt werden. Aber es gibt auch negative Inhalte, die bei jeder Meditation wiederkehren und alles andere verdrängen möchten. Diese negativen Bilder wollen nicht meditiert, sondern im Gespräch verarbeitet werden. Nur so werde ich frei von ihnen und damit frei für die echte Meditation. Im dritten Hauptteil wird es darum gehen, daß ich Schulderkenntnissen überhaupt nur dann echt begegnen kann, wenn ich mich geborgen weiß in der Liebe und in der Vergebung Gottes.

- Was kann ich tun, um Gebet und Alltag miteinander zu verbinden?
Im Gegensatz zu Tagen der Stille muß ich mir zu Hause den rechten "Rahmen" für meine Gebetszeit selbst schaffen. Dieser Rahmen soll einerseits diese Zeit von dem übrigen Tag abheben, und andererseits soll er die Gebetszeit in den übrigen Tag sinnvoll einfügen.

Dazu ist es wichtig, mir vor der Gebetszeit ein paar Minuten zu nehmen, um mich auf die Begegnung mit dem lebendigen Gott "einzustellen", wie man einen Sender im Radio einstellt. Möglichkeiten dazu werden besonders in der ersten Übungswoche angeboten; ein jeder muß für sich herausfinden, was für ihn hilfreich ist.

Nach der Gebetszeit brauche ich noch einige Zeit zum Ausschwingen lassen. Wenn ich mir mit wenigen Worten notiere, wie es mir ergangen ist (innere Vorgänge) und was mir wichtig geworden ist (wesentliche Erkenntnisse), so können mir diese Notizen eine große Hilfe sein, um mich bei der folgenden Gebetszeit schneller wieder in den meditativen Zustand hineinziehen zu lassen. Wer eine lange Anlaufzeit braucht, um in die Stille zu kommen, sollte diese Möglichkeit unbedingt wahrnehmen. Solche Notizen können mir auch dazu helfen, die Gesamtrichtung meines Wesens in größeren Abständen immer wieder einmal anzuschauen und wahrzunehmen, wie der Maler eines Ölgemäldes in Abständen immer wieder zurücktritt, um das Ganze in den Blick zu bekommen. (Das ist wichtig für die "Unterscheidung der Geister" - wovon im dritten Hauptteil die Rede sein wird.)

Für manchen kann ein Vorblick aus der abklingenden Stille heraus auf die vor ihm liegende Arbeit eine wichtige Hilfe zu einem organischen Übergang sein. Dies Vorausmeditation von Aufgaben wird im vierten Hauptteil einen wichtigen Platz einnehmen.

Und schließlich ist eine kleine Übung, die nur wenig Zeit braucht, kaum zu unterschätzen: Ganz wesentlich zur Vertiefung trägt es bei, wenn ich mir abends vor dem Einschlafen kurz das wichtigste Geschehen während der Gebetszeit des Tages in Erinnerung rufe, indem ich mich noch einmal in diese Erfahrungen hineinversetze. Denn gerade das, was mit mir in den Schlaf geht, übt entscheidende Wirkung auf mein Dasein aus.

Versuchen wir nun, "vom Kennen zum Können" zu gelangen, indem wir in eigenen Üben persönliche Erfahrungen sammeln, damit wir jeder den Weg finden, der uns "angemessen" ist.


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