Erste Übungsgruppe Stille- und Entspannungsübungen
Mit dieser ersten Übungseinheit will ich Sie mit ersten, einfachen Übungen vertraut machen. Dazu habe ich einige Bitten und Vorbemerkungen:
Es ist durchaus möglich, zuerst einmal das ganze Buch im Zusammenhang zu lesen, um einen gewissen Überblick zu bekommen. Das Eigentliche beginnt aber erst dort, wo Sie versuchen, selbst wirklich mitzutun, d.h. jede Übung selbst zu vollziehen, so gut es eben gelingt. Überall, wo im Brief Pünktchen (...) stehen, sind Sie auf Ihr eigenes Mittun angesprochen, ehe Sie weiterlesen. Bitte stellen Sie sich aber unter keinen Leistungsdruck - eine Meditation "muß" nicht gelingen! Wenn etwas geschieht, ist es immer ein Geschenk.
Die Zeitangaben nach den einzelnen Schritten sollen nichts anderes sein als Vorschläge - laß genügend Raum! Der eine wird bei dem einen länger verweilen wollen, der andere an einer anderen Stelle. Wichtig ist, daß man lange genug wartet, bis das Meditieren wirklich in Gang kommt, das braucht meistens wenigstens 2 Minuten. Dann sollte man dabei bleiben, bis das Thema erschöpft ist.
Das ist deshalb so wichtig, damit Sie wirklich eigene Erfahrungen gewinnen, die noch nicht vorgezeichnet sind von dem, was ich oder andere bei der Übung erfahren haben.Einige Grundregeln für den Anfänger lauten:
- Nichts Negatives meditieren! Meditation dringt in Tiefenschichten unseres Wesens ein, und ihre Wirkung ist stärker und nachhaltiger, als uns selbst beim Meditieren bewußt wird. Meditieren läßt Bilder aus dem Unterbewußtsein aufsteigen; dabei kann es geschehen, daß eine bestimmter Meditationsstoff bei einem Menschen negative Gefühle oder Erinnerungen hervorruft. Wo das geschieht, sollte der Anfänger auf jeden Fall diese Meditation abbrechen und sich einen Stoff suchen, der für ihn positiv ist. Gerade in Gruppenmeditationen muß das vorher gesagt werden, weil jeder Mensch hier verschieden reagiert. Später wird es immer besser gelingen, auch negative Inhalte aufzuarbeiten, wenn sie ans Licht kommen.
- Meditation soll in ein helles Land hineinführen und den Menschen, der sie übt, von innen her froh machen. Nun gibt es einige wenige Menschen, für die Meditation das Gegenteil bewirkt, weil sie vielleicht gerade in einer Periode ihres Lebens stehen, wo man lieber nicht meditieren, sondern einfach handeln sollte. Das ist zwar selten, aber es muß zu Anfang gesagt werden, damit kein Schaden angerichtet wird. Wenn also die Dunkelheiten beim Meditieren überhandnehmen, dann sollte man es erst einmal lassen.
- Ich möchte im wesentlichen so vorgehen, daß ich Sie auf Ihre eigenen Erfahrungen hin anspreche. Nur von daher öffnet sich das Verstehen für das, was gemeint ist. Damit Sie eigene Erfahrungen gewinnen können, beschreibe ich die Übungen, die wir im Kurs gemeinsam gemacht haben, und stelle weitere Aufgaben, an denen sich das Geübte festigen kann Alle Übungen und Aufgaben sind dazu da, daß jeder seine eigenen Möglichkeiten ausprobieren und kennenlernen kann, um seinen eigenen Weg des Meditierens zu finden.
- Wenn ich im Anschluß an die Übungseinheiten oder die einzelnen Übungen etwas von dem weitergebe, was wir nach dem gemeinsamen Meditieren zusammengetragen haben, dann möchte ich Sie teilnehmen lassen an unserer Er-fahrung, die schon angesprochen wurde: Meditieren will die Grenzen öffnen, die wir zwischen uns aufgebaut haben. Ein Beschenken des anderen mit dem, was mir selbst beim Meditieren geschenkt wurde, läßt mich in ganz neuer Weise erfahren, was "Kirche" ist.
Und nun zur Sache selbst:
Wir sagten es schon: Wenn man sich auf eine Wanderung begibt, ist es gut, sich die Ziele abzustecken - die Nahziele und die Fernziele. Der Blick auf das Ziel entbindet Kräfte, die nötig sind, um manche Mühseligkeiten des Weges zu bestehen und Grenzen zu überwinden. Das Fernziel dieses Kurses hatten wir uns schon vor Augen gestellt: Im Schauen auf Jesus Christus sein Leben in mir mehr und mehr Gestalt gewinnen zu lassen.
Das Nahziel dieser Übungseinheit heißt:
Wege kennenzulernen, die mich in meine Tiefe, in die Mitte meines Wesens führen. Denn je mehr ich in die eigene Tiefe gelange, desto mehr erschließen sich mir die Tiefen der Welt, der Mitmenschen und selbst die verborgenen Geheimnisse Gottes.
Ich stelle mir vor: Auf einem kleinen Tisch liegt eine Bibel. Verschiedene Gestalten treten zu ihr, stellen ihr eine Frage und bekommen eine Antwort von diesem Buch:
Ein zweijähriges Kind ... ein Schulanfänger ... ein Konfirmand ... ein Theologiestudent ... ein Mensch in Zweifeln ... ein Sterbender ... Ergebnis:
Bei dieser Übung kann man selbst entdecken:
Die Art des Fragens bestimmt die Qualität der Antwort! Je größer die innere Tiefe ist, aus der ich meine Frage stelle, desto tiefer wird sich das Gefragte erschließen! Das gilt nicht nur für dieses Buch, das gilt für alle Dinge, für Geschehnisse, für andere Menschen und auch für unser Verhältnis zu Gott! Wo uns Meditieren dazu hilft, immer mehr in diese innere Tiefe zu gelangen, kann selbst ein kleiner Raum dieser Welt immer tiefer und reicher werden. Wie aber komme ich in diese Tiefe - gibt es dazu Hilfen? Die Meditationsbewegung ist mit dadurch geprägt, daß sie um den engen Zusammenhang von Leib und Seele weiß. Nicht nur seelische Vorgänge wirken sich oft im Leib aus (Wirkung von Freude und von Kummer auf unsere Bewegungen!...), sondern man kann seelische Zustände gezielt vom Leiblichen her beeinflussen!
Wir abendländischen Menschen sind davon bestimmt, daß wir unseren inneren Schwerpunkt ganz ins Denken, d.h. in den Kopf verlegt haben. Diesen Schwerpunkt herunterzulassen heißt: das Denken loslassen. Die Welt der Bilder, der Gefühle öffnen - aber auch diesen Bereich zurücklassen, um in noch größere Tiefe zu kommen. Das ist ein weiter Weg, aber wer nicht die ersten Schritte versucht, erreicht nie das Ziel. Diese ersten Schritte wollen wir jetzt miteinander versuchen!
Wir sitzen oder liegen ganz still - ohne jede Bewegung ... Wir versuchen, einfach die Stille zu erleben, möglichst, ohne etwas zu denken ...
(ca 2 Minuten Stille ...)Ergebnis:
Das Nicht-Denken gelingt uns kaum! Aber wir kennen Augenblicke im Leben, wo man wirklich nichts denkt - eine überwältigende Freude oder ein tiefer Schmerz können alles Denken ausschalten und uns ganz "Gefühl" werden lassen.
Wir schließen die Augen. Wir versuchen, wie mit leichter Hand unseren Körper nach Verspannungen abzutasten, um sie zu lösen ... Wir sind ganz locker ... die Stirn ist locker ... die Zunge ... der Unterkiefer ... der Nacken locker, gelöst ... die Arme sind locker ... schwer ... wir fühlen die Schwere unseres Leibes und überlassen uns diesem Gefühl ...
(ca. 3 Minuten Stille ...)
Ergebnis:
Es ist möglich, daß es uns jetzt schon so vorkam, als ob die Gedanken sich nur noch leiser gemeldet hätten - wir von ferne - wie vor der Tür. Dort lassen wir sie ruhig stehen.
Eine Bewegung können wir nicht ausschalten: unser eigenes Atmen. Beim tiefen Meditieren wird man es erleben, wie der Atem ganz ruhig und langsam wird - man kann selbst den Unterschied feststellen, wenn man zuerst versucht, ganz "oben", ganz flach zu atmen (Erschrecken!) - und dann die Luft ganz tief in sich hineinzunehmen (Duft einer Rose!). Aber wenn man vom Willen her den Atem steuern will, wird er leicht verkrampft. So wollen wir versuchen, uns einfach dem eigenen Atemrhythmus anzuvertrauen, uns von ihm mitnehmen zu lassen ... Wir atmen aus - und warten, bis "es" wieder einatmet ... Man kann versuchen, beim Ausatmen still die Worte "ich gebe" zu fühlen, beim Einatmen "ich nehme" ..., dann kann man versuchen, sich bei jedem Ausatmen ein Stück weiter in die Tiefe sinken zu lassen ...
(ca. 5 Minuten Stille ...)
Ergebnis:
Bei diesen letzten Übungen erreichen manche schon ein Loslassen der Gedanken, das Gefühl einer wohltuenden Tiefe. Man braucht nicht zu erwarten, daß sich das sofort einstellt. Wenn man immer wieder diese Grundübungen macht, bleiben sie nicht ohne spürbare Wirkungen. Das kann bei dem einzelnen durchaus in verschiedener Weise geschehen.
Man könnte einmal den kurzen Versuch machen, beim Ausatmen "ich nehme" und beim Einatmen "ich gebe" zu sagen. Das gelingt gar nicht. Wie wichtig ist es, daß wir nicht gegen unseren Körper arbeiten, sondern mit ihm!
Bei diesen Stilleübungen wird man zuerst besonders hellhörig für alle Geräusche, doch dauert es meistens nichtlange, bis man diese Geräusche überhaupt nicht mehr hört. In einem Kurs mit 45 zwölf- bis vierzehnjährigen Mädchen gelang bereits am zweiten Tag diese Abschirmung so gut, daß ein lautes Gespräch im Nebenzimmer während einer längeren Übung von kaum einem Mädchen gehört wurde. Wie wichtig könnte diese Fähigkeit für uns alle sein! Gerade für einen körperbehinderten Menschen mag es eine echte Hilfe sein, den Zusammenhang zwischen Leib und Seele nicht nur schmerzlich zu erleiden, sondern auch zu lernen, wie man ihn positiv fruchtbar machen kann. Wer Schmerzen kennt, der weiß, wie wichtig es ist, sich nicht zu verkrampfen, sondern zu entspannen. Meditative Entspannung kann dahin führen, daß man Schmerzen ableiten lernt. Außerdem entbindet solche Entspannung Kräfte in uns selbst, die wir bisher noch nicht ahnten. Aber das alles und noch vieles andere sollte jeder von Ihnen selbst an sich erfahren.
Ich möchte diese erste Übungsgruppe abschließen mit Worten aus einem Brief, den mir jemand schrieb, der - selbst ein kranker Mensch - seit vielen Jahren tief in die Welt der Meditation eingetreten ist. Er schreibt: "Ich weiß nicht, wie Sie es persönlich mit den Entspannungsübungen halten. Auch bei ihnen kann man einen mehr meditativen Weg gehen: Es gibt ein Bibelwort, etwa so: Wisset ihr nicht, daß ihr Tempel seid des lebendigen Gottes? Ich weiß nicht, wo es steht, aber es ist mir durch Jahrzehnte richtungsweisend gewesen in der Haltung zu meinem Körper. Wenn Sie nun Glied nach Glied, Körperteil nach Körpergegend entspannt haben, muß man noch einen Schritt weitergehen und nicht nur bei der Entspannung stehenbleiben. Jedes Glied des Körpers sei dem Geiste Schrein und Altar und sollte in meinem ganzen Körper, von den Zehen bis zum Scheitel sich selbst empfinden, gewissermaßen in jeder Zelle meines Körpers das Heiligtum des Geistes bewußt erleben. Ruhiges Empfin-den so durch den ganzen Leib trägt nach Wochen und Monaten reiche Früchte."
Und eine schwerbehinderte Kranke wies mich auf etwas anderes hin: "Ich habe einmal in einer Rundfunksendung gehört, daß der ganze Mensch sich in seinem Gesicht und den Händen ausdrückt. Entspannt man diese beiden Körperteile ganz bewußt, dann fließt diese Entspannung auf den ganzen Körper über. Ich habe es selbst seit Jahren ausprobiert, und es hat sich bestätigt." Dieser Hinweis könnte gerade für alle diejenigen wichtig sein, die durch schwere Körperbehinderung die üblichen Formen der Entspannungsübungen im Sitzen nicht mitvollziehen können.